Helmut Mühlich

Helmut Mühlich

* 23.11.1940
† 31.07.2019 in Wasseralfingen
Erstellt von Stefan Dierkes
Angelegt am 07.08.2019
3.741 Besuche

Über den Trauerfall (1)

Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Helmut Mühlich, wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.

Abschiedsrede beim Theiss & Binkowski Rechenzentrum 31.3.2003

07.08.2019 um 16:11 Uhr von Stefan

Lieber Herr Theiss, lieber Herr Schray,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

früher blickte ich nach vorn - heute blicke ich schon mal zurück!

Mit dem heutigen Tag bin ich auf den Tag genau 35 Jahre im Hause SDZ und TBR. Als frischgebackener Schriftsetzermeister kam ich am 1. April 1968 zum SDZ. Unser früherer Betriebsleiter Herr Walter Spaney hatte mich als Leiter der damaligen Akzidenzsetzerei ausgewählt und Herr Dr. Konrad Theiss hatte nach einem persönlichen Gespräch – bei dem er zunächst eigentlich eher skeptisch war – zugestimmt. Herr Spaney erwartete von mir, dass ich eine neue Typografiekultur ins Haus bringe. Dies ist mir auch relativ leicht gefallen. War die Typografie und die Gestaltung von Drucksachen doch schon in meinem bisherigen Schriftsetzerleben ein großes Hobby von mir. Damals – muss man wissen – gab es noch nicht so viele Werbeagenturen wie heute. Die Setzer waren in den Druckereien dafür verantwortlich, wie die Drucksachen ihrer Kunden gestaltet wurden. So bekam ich die Chance, als junger Mensch mit 28 Jahren, in einem Unternehmen tätig zu werden, das weit und breit als eine Qualitäts-Akzidenz-Druckerei bekannt war.

Andererseits gab´s aber auch noch eine Zeitung im Hause. Und vor dieser wurde ich – beim Abschied von meinem damaligen Betrieb, dem Schwarzwälder Boten in Oberndorf – ausdrücklich gewarnt. Denn die hatten – nach Meinung meines früheren Betriebsleiters in Oberndorf – im Jahre 1965 für den Druck der Tageszeitung eine Offset-Rotationsmaschine von MGD gekauft. Und das könne absolut nicht gut gehen. Dieser Zeitungsbetrieb werde in wenigstens fünf Jahren bankrott sein. Denn es sei absolut nicht möglich, eine Zeitung im Offsetdruckverfahren herzustellen. Das sei nur möglich mit der bis dahin weltweit bekannten Buchdruck- oder Hochdruck-Rotation. So warnte er mich eindringlich davor, zum SDZ zu gehen. Ein böses Omen gar?

In meinen ersten Monaten hier machte ich dann tatsächlich einige eher ungute Erfahrungen mit erfahreneren Kollegen. Die waren immer der Meinung, dass was ich da machen würde, habe so doch keinen Wert. Das muss so gemacht werden, wie wir das immer gemacht haben. Und schon habe ich meiner Frau damals gesagt, dass ich in dieser Firma wohl doch keinen Zentner Salz essen werde.

Es kam dann aber alles doch ganz anders. So nach und nach ist es mir gelungen, die vorhandene Bleisatztechnik mehr und mehr zu verfeinern und die Abläufe zu optimieren. Dazu kam, dass wir zunehmend an der Umstellung vom Buchdruckverfahren auf das neue Offsetdruckverfahren arbeiteten. Zunächst wurde das noch mit einem sogenannten Umdruckverfahren mittels Baryt-Abzügen gemacht. Von diesen wurde dann auf direktem Wege der Film hergestellt. Und dieser wurde dann montiert. So kamen die Seiten zustande. In der Zeitungsfertigung geschah dies als sogenannte Papiermontage. Von dieser gings über Filmnegative auf die Offsetplatte für die Rotationsmaschine oder aber auch auf die Bogenoffsetdruckmaschine. Die Umstellung vom Hochdruck auf den Offsetdruck war vollbracht.

Nun musste auch die Druckvorstufe auf die neue Technik umgestellt werden. Ein weiter Weg war vor uns. Und diesen habe ich dann mit zunehmender Begeisterung mitgetragen. Der Fotosatz fasste Fuß bei uns. Über den optomechanischen, kathodenstrahlgesteuerten und den laserstrahlgesteuerten Fotosatz kamen wir zum heutigen Satzsystem, das seine Ausgabe ohne den Umweg über Papier und Film direkt auf die Offsetplatte nimmt. Fürwahr ein weiter und teilweise auch steiniger Weg war das. Wir sehen daran aber auch die umwälzenden Veränderungen, die gerade die Satztechnologie in den vergangenen 35 Jahren genommen hat. Was ich früher als Schriftsetzer in Schramberg im Schwarzwald einmal gelernt hatte, das hat heute nur noch bedingt Gültigkeit. Und schon Henri Nannen hatte bereits 1964 in einem großen Bericht im „Stern“ davon berichtet, dass der Beruf des Schriftsetzers aussterben wird. Vor dem Hintergrund, dass heute jeder PC-Anwender sein eigener „Publisher“ ist, eine weit vorausschauende Zukunftsdeutung. Denn auch bei uns im Hause haben die Veränderungen dazu geführt, dass die Kunden heute die Vorstufe für ihren Katalog im eigenen Haus selbst machen.

Mit den Veränderungen in der Satztechnologie gingen aber noch andere Veränderungen einher. Waren früher die datentechnischen Arbeiten unserer Verwaltung extern in anderen Häusern angesiedelt, findet heute fast alles im eigenen Hause statt. In diesem Zusammenhang wurde vor 17 Jahren das hauseigene Rechenzentrum TBR gegründet. Herr Schwarz hat mich damals als Setzereileiter abgelöst. Wie wir heute sehen, hat sich das TBR aus kleinsten Anfängen heraus zu einem ansehnlichen eigenständigen Betrieb entwickelt. Heute sind wir als zentraler Dienstleister für den SDZ tätig. Sowohl die Satzproduktion als auch die Administration des Hauses wird von uns aus datentechnisch verwaltet. Als Mitbegründer des TBR habe ich die Satztechnik unserer Redaktionen und Anzeigenabteilungen natürlich weiterhin begleitet. Aber meine Beziehung zur Typografie ist dadurch leider ganz in den Hintergrund getreten. Über viele Jahre war ich einer der ersten Ansprechpartner für das ganze Haus. Als solcher habe ich wann irgend möglich versucht, unserem Rechenzentrumsleiter Herrn Schray den Rücken freizuhalten für seine immer umfangreicher werdenden Aufgaben.

Rückblickend kann ich mit einigem Stolz sagen, dass ich an der Weiterentwicklung von Technologie und Organisation unserer Mediengruppe wesentlich beteiligt war. Es war aber auch durchaus so, dass im Hause SDZ von Geschäftsleitung und Betriebsleitung früher und auch heute großer Wert darauf gelegt wird, dass mit den neuesten Produktionsmethoden und der neuesten Technologie gearbeitet wurde. Wie anfangs berichtet, wurde im Hause SDZ immer auch mal etwas neues gewagt und somit waren wir über Jahrzehnte hinweg Spitzenreiter in der grafischen Industrie. Dieses Image unseres Hauses hat dazu geführt, dass wir für verschiedenste Liefer- und Kollegenbetriebe stets auch ein Vorzeigebetrieb gewesen sind. Und so kamen im Lauf der vergangenen Jahrzehnte Kollegen aus der halben Welt zu uns, um von uns zu lernen. Bei der Einführung all dieser Neuerungen hatte man stets freie Hand und konnte sich ohne große und umständliche Reglementierungen in die Verwirklichungen einbringen. Dazu hatten wir immer auf das modernste ausgestattete Arbeitsplätze und wie wir an den verschiedenen Bauteilen sehen können auch eine moderne Gebäudeinfrastruktur. Damit einher ging ein fast familiäres Betriebsklima. Hiermit war für viele Jahre die Basis geschaffen, um mit Freude und Elan meinen Aufgaben nachzukommen. Dafür bin ich dem SDZ, dem TBR und der Familie Theiss zu Dank verpflichtet.

Leider blieb ich in meinem Leben auch nicht von Krankheiten verschont. Schon als ich vor nunmehr fast auf den Tag genau 48 Jahren ins Berufsleben eingetreten bin, laborierte ich gelegentlich mit Bronchialerkrankungen. Daraus wurde später nach meinem Einsatz bei der Bundeswehr – bei der ich als Fernmelder übrigens erstmals mit Kabeln und Kommunikationstechnik in Berührung kam – dann ein chronisches Bronchial-Asthma. Dieses plagt mich bis heute – ganz besonders in den Übergangszeiten vor dem Herbst und zum Frühjahr hin. Nachdem ich deshalb zehn Jahre lang Cortison genommen hatte, musste 1974 mein rechter Hüftkopf gegen ein Implantat getauscht werden. Nach weiteren sieben Jahren musste dieses erste Implantat wegen Lockerung gegen ein neues getauscht werden. Nun laufe ich schon bald 22 Jahre auf diesem künstlichen Hüftgelenk herum. Trotz dieser massiven Behinderungen habe ich stets versucht, meine volle Kraft dem SDZ und TBR zur Verfügung zu stellen. Vielleicht bin ich dabei ja gelegentlich mal über das Ziel hinausgeschossen mit meine Arbeitszeiten. Vielleicht wollte ich mich als Behinderter auch beweisen? Nun sei´s drum – heute kann ich mit Fug und Recht sagen: Es ist alles gut gegangen! Darüber freue ich mich.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich aber nicht nur die Technik geändert. Auch die Menschen und die Gesellschaft haben sich verändert. Als ich 1955 begann die Technik Gutenbergs zu erlernen, waren gerade mal zwei Jahre vergangenen seit dem Koreakrieg. Mit dem Wirtschaftswunder war es noch nicht weit her. In vielen Industriezweigen herrschte Arbeitslosigkeit und Lehrstellen waren absolute Mangelware. Wenn man eine Lehrstelle bekam, musste man sich erst einmal ein Jahr lang als Laufbursche bewähren. Wobei ich Glück hatte. Wegen meinem sehr guten Zeugnis (schon früher ein Streber?) durfte ich sofort mit der Lehre beginnen. Überall war noch obrigkeitliches Denken angesagt.

Und was haben wir heute? Es ist wieder Krieg. Die Arbeitslosigkeit nimmt ungeahnte Formen an und Lehrstellen sind erneute Mangelware. Es gibt Firmenzusammenbrüche und bankrotte Städte. Zu alledem sind die Renten nicht mehr sicher. Haben wir also schon wieder schlechte Zeiten?

Auch wenn sich die Geschichte immer wiederholt. Ich meine: nein. Wir haben den Kalten Krieg überwunden. Der eiserne Vorhang ist gefallen. Unsere Demokratie hat unser aller Denken und Handeln so frei gemacht, dass man manchmal schon den Eindruck hat, es fehle wieder an der Ordnung. In der Bundesrepublik sind wir den „american way of live“ gegangen. Schon Kinder und auch Lehrbuben sind Persönlichkeiten. Wir reisen auf der ganzen Welt umher. Auch bei 2,30 DM je Liter Benzin fahren wir landauf und ab in immer mehr Staus durch die Gegend. Im großen und ganzen geht’s uns doch noch eher gut. Was soll also das Gejammere. Packen wirs an, es gibt auch künftig noch viel zu tun ...

Zum Schluss aber möchte ich Dank sagen. Zuerst möchte ich meinem jahrzehntelangen Weggefährten Herrn Schray danken. In all den vielen Jahren, in denen wir gemeinsam kleine, größere und große Projekte durchgeführt haben und uns gemeinsam die Nächte um die Ohren geschlagen haben, war Herr Schray für mich nicht nur mein Chef. Vielmehr war er – auch wenn wir nie per du waren – immer eher ein guter Freund und Kollege, durchaus auch mal Vorbild. Wir haben vieles zusammen geschafft und bewirkt. Er war nachsichtig, wenn ich auch mal etwas falsch gemacht hatte. Er hat mir Impulse gegeben und hat mir beim Konvertieren auch mal den richtigen Weg gezeigt. Dafür hat er aber auch von mir gelegentlich ohne große Umschweife mal einen Rat angenommen. Für all das möchte ich Ihnen heute danken. Und weil Sie heute Geburtstag haben, habe ich Ihnen einen Tropfen vom Bodensee mitgebracht. Genießen Sie ihn mit Ihrer Frau – hoffentlich ungestört durch die Zeitungs- und Internetproduktion. Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute, Kraft, Ausdauer, Ideen und Gesundheit für die noch bevorstehenden Berufsjahre.

Danken möchte ich aber auch Ihnen allen. Sie haben in mir nie den „Alten“ gesehen, sondern mich stets als einen der Ihren angesehen. Schon vor zwei Jahren – als ich 60 geworden bin – habe ich überlegt, ob ich nicht doch schon hätte in Rente gehen sollen. Da ich aber in allen Jahren die Arbeit nie als Last, eher als Freude angesehen habe, und mir der Umgang mit all meinen jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine immer wieder wohltuende Erfahrung war, bin ich doch noch etwas hier geblieben. Auch Ihnen allen möchte ich danken für die über viele Jahre hinweg angenehme und sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich wünsche Ihnen allen, dass sich das wirtschaftliche Barometer hoffentlich recht bald wieder nach oben bewegt und Sie erwartungsvoller in die Zukunft von SDZ und TBR blicken können.

Zuallerletzt möchte ich an dieser Stelle nicht vergessen, meiner Frau Dank zu sagen. Ich möchte ihr dafür danken, dass sie in all diesen langen Jahren treu zu mir gestanden ist. Nur durch Ihre Nachsicht, Rücksicht und Einsicht war es mir überhaupt möglich, diese 35 Jahre durchzustehen. Sie ist in guten und auch bösen Tagen – so was gabs natürlich auch in einer so langen Betriebszugehörigkeit – immer hilfreich an meiner Seite gestanden. Sie hat mich – wenn’s sein musste – auch mal aufgemuntert und mich wieder angetrieben. Sie hatte großes Verständnis dafür, dass ich teilweise auch die Nächte im Geschäft verbrachte. Und sie hat unsere beiden Kinder vielfach fast gar alleine erzogen und zu tüchtigen jungen Leuten werden lassen. Vor allem aber während meinen Krankheiten war sie mir eine ganz wesentliche Stütze. Vielen Dank hier an meine Gigi.

Inzwischen habe ich – wie Sie sicherlich bemerkt haben – mein Büro ausgeräumt. Als ehemaliger Jünger Gutenbergs war ich bis heute gewohnt, meine Dokumentationen und Aufschriebe wie früher in analogen Ordnern abzulegen. Das hat sich bis zum Schluss nicht geändert. Und dort habe ich bisher meistens auch immer alles wieder gefunden, was von mir oder sonst jemandem im Haus gesucht worden ist. So mache ich jetzt Platz für meinen Nachfolger Herrn Dr. Dierkes. Ich wünsche Ihnen in meinem ehemaligen Büro alles Gute und viel Erfolg für die Zukunft vom TBR.

Was kommt nun? Was macht denn der Mühlich, wenn der mal nicht mehr zur Arbeit gehen darf? Das habe ich mich auch gefragt. Und ich kann ihnen sagen, dass es weitergehen wird. Da ich leider meinem früheren Hobby, dem Bergsteigen, nicht mehr nachgehen kann, werde ich mich eben mehr auf Haus und Terrasse konzentrieren. Und dabei habe ich festgestellt, dass es auch in Zukunft noch vieles zu tun gibt:

Bücher
Bibliothek in DB
Geschichte
Heimatgeschichte
Brauchtum
Krippen
Fotos
Schrift und wieder Typografie
Kalligrafie
Ahnenforschung
Klassische Musik
Konzertante Blasmusik
Spaziergänge rund um den Braunenberg
Bodensee und Hagnau
Grainau und Zugspitze
Lago Maggiore
Insel im Mittelmeer
Meine Mutter freut sich auf längere Besuche
usw.

Sie sehen, es wird sicher eine Umstellung sein. Ich werde mich mit meinem neuen Chef arrangieren müssen. Aber da haben wir beide sicherlich keine Probleme. Und angesichts der langen Latte von Interessen habe ich keine Bange, dass ich wegen Langeweile ins TBR gehen müsste ...

In diesem Sinne rufe ich Ihnen allen zu:
Gott grüß die Kunst
und weiterhin „Glückauf“

Helmut Mühlich

Aalen, den 31. März 2003